Wolfgang Weilharter ist Experte auf dem Gebiet Mediation und arbeitet am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung in Schlaining, wo er als Projektmanager im Bereich Kommunale Friedens- und Konfliktarbeit tätig ist. Darüber hinaus lehrt und publiziert er zu diesen Themenfeldern. Im folgenden Interview gibt er Einblick in sein praktisches Tun und schildert Parallelen zwischen den ganz kleinen und ganz großen Konflikten.

Lieber Herr Weilharter! Zu Beginn möchte ich Ihnen gerne eine grundlegende Frage stellen: Was ist ein Konflikt und wie würden Sie den Begriff beschreiben?

Interessanterweise sehe ich aus der Perspektive meiner Mediationspraxis relativ wenig Anlässe, genauer zu definieren, was ein Konflikt ist. Die Frage beantwortet sich überwiegend von selbst, sobald sich jemand bei mir über seinen Konfliktgegner beschwert und Unterstützung möchte. Das ist für mich, praktisch gesprochen, Grund genug zu sagen, das ist ein Konflikt. Am ehesten hat die Definition Johan Galtungs, dem norwegischen Friedensforscher, für mich Bedeutung, dass ein Konflikt aus folgenden drei Elementen besteht: conflict, behavior und attitude, also dem Gegenstand der Auseinandersetzung, dem Verhalten der Konfliktparteien und ihrer inneren Haltung, mit der die Betroffenen ihrem Konflikt begegnen. In der Dynamik einer Konfliktbearbeitung kann es dazu kommen, dass man sich auf eines der drei Elemente zu versteifen beginnt, gerne auf den Konfliktgegenstand. Wenn man bemerkt, dass es durchaus noch andere Ebenen mit Einfluss auf den Konflikt gibt, kann man den Prozess wieder in Gang bringen. Deshalb ist diese Unterscheidung für mich hilfreich.

Zudem begleitet mich seit zwanzig Jahren die Unterscheidung von Galtung „conflict the creator“ und „conflict the destroyer“. Sie meint, dass es in Konflikten sowohl konstruktive als auch destruktive Tendenzen gibt: Manchmal entsteht aus dem Konflikt etwas Neues, manchmal kommt es zu Verletzungen und Zerstörung. Wenn man auf dem Gebiet der Mediation tätig ist, neigt man dazu, Konflikte als etwas zu betrachten, das möglichst aus der Welt geschafft werden soll – was aber keineswegs bei allen Konflikten angemessen ist. Auch kann es nötig sein, Konflikte überhaupt erst einmal zu beginnen. Wenn man gewohnt ist, an der Beruhigung und Beendigung von Konflikten zu arbeiten, kann es hier zu falschen Einschätzungen kommen.

Wann haben Sie begonnen, sich professionell mit Konflikten auseinanderzusetzen und erinnern Sie sich an konkrete Auslöser?

Ja! Ich bin ja im Alter schon etwas fortgeschritten (lacht)… In den 80er Jahren ist es zum Wettrüsten der westlichen und östlichen Mächte gekommen. Das hat mich sehr beschäftigt und ich habe mich damals in den Friedensbewegungen engagiert. Der Umstand, dass es Eskalationsdynamiken gibt, die zur Zerstörung führen können, prägte meinen beruflichen Weg.

Spannend: Sie waren bewegt von großen gesellschaftlichen Entwicklungen und kriegerischen Auseinandersetzungen und haben sich dann der zwischenmenschlichen Konfliktarbeit gewidmet. Was waren dabei Ihre Beweggründe?

Das hat sich entwickelt… es war keine bewusste Entscheidung, mich der kleinräumigen Arbeit zu widmen. Ich habe damals in Wien eine Stelle in der städtischen Stadtteilarbeit bekommen und es war somit eine organische Fortsetzung, ausgehend vom Interesse an den großen Konflikten, an den Konflikten der gesellschaftlichen Basis weiterzuarbeiten.

Seit kurzem arbeiten Sie in Schlaining als Projektmanager an einem Projekt zu ziviler Konfliktarbeit.  Worum geht es dabei?

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Konfliktarbeit an der gesellschaftlichen Basis ein unverzichtbares Element für gesellschaftlichen Zusammenhalt darstellt. Konkret sind das bei uns Formate an der Grenze zwischen Bürgerbeteiligung und Konfliktarbeit in Gemeinden sowie Konfliktarbeit im Nachbarschafts- und Wohnungswesen.

Wie würden Sie die Verbindungen oder Parallelen der kleinräumigen und großräumigen Konflikte beschreiben?

Ich kann diese Frage wieder aus einer sehr praktischen und weniger systematischen Sicht beantworten: Eine wichtige Parallele ist beispielsweise das Verhalten von Konfliktparteien, wenn es um die Frage geht, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Auf die Frage “Wollen Sie sich mit Ihrem Nachbarn an einen Tisch setzen?” ist für mich die Reaktion “Sicher nicht!” sehr vertraut. Die Parallele wird für mich deutlich, wenn ich Politiker sagen höre „Jetzt ist keine Zeit für Verhandlungen“. In Konflikten ist es oftmals der Fall, dass sich eine Seite das gemeinsame Gespräch wünscht, die Gegenseite aber nicht. Ich bin zu der Auffassung gelangt, dass in einer solchen Situation ein Mediator einen Beitrag leisten kann, um eben auch die Gegenseite zum gemeinsamen Gespräch zu motivieren. In meiner Ausbildung hat das keine Rolle gespielt bzw. wurden wir sogar davor gewarnt, aus Sorge, dass man als Mediator*in in den Konflikt hineingezogen wird. Die Sorge ist berechtigt, aber das Problem kann aus meiner Sicht relativ einfach durch Techniken der Pendelmediation vermieden werden.  Einen Unterschied zwischen kleinräumigen Konflikten und solchen auf der mittleren Ebene, etwa in einer Ortschaft, sehe ich darin, dass “Autoritäten” verstärkt mit ins Spiel kommen: Hausverwaltungen, Gemeindepolitik, oder auch Medien. Ihr Einfluss muss bedacht werden, auch deshalb, weil sie immer wieder zur Konfliktklärung beitragen können. Und dann kommt noch etwas dazu: Im Prinzip gilt aus meiner Sicht für alle Ebenen von Konflikten, von der Fehlersuche weg und auf die Bedürfnisse hinzukommen. Je neutraler, allparteilicher man agiert, umso besser kann das funktionieren.

Unter welchen Bedingungen können wir an unseren eigenen Konflikten wachsen?

Wenn das explizite oder implizite Bewusstsein vorhanden ist, dass Konflikte eine Chance sein können. Ich glaube, das ist ein Wissen, das mit formaler Bildung sehr wenig zu tun hat.

Geht es dabei um eine innere Ausrichtung und durch Erfahrung gewachsene Haltung?

Ja, mit Sicherheit, gute Erfahrungen prägen unser Bild von Konflikten und sind eine gute Voraussetzung für Wachstum.

Wie können Sie dabei professionell unterstützen?

Ich habe nicht unmittelbar den Anspruch, zum Wachstum beizutragen. Denn Wachstum ist, denke ich, etwas, das passiert, das unvorhersehbar und unverfügbar ist. Man kann es nicht erzielen, sondern vielmehr die Voraussetzungen dafür schaffen. Dabei ist für mich die Unterstützung bei der Problemanalyse und Bedürfnisklärung von großer Bedeutung. Außerdem geht es in der Konfliktarbeit darum, für einen entschleunigten Rahmen zu sorgen. Meine Erfahrung ist: Eine gute Struktur schafft Vertrauen und Sicherheit.

Ich würde Ihnen nun gerne eine persönliche Frage stellen. Zunächst: Was begeistert Sie an der Arbeit mit Konflikten?

Das lösende Moment! Wenn sich etwas in eine lösende Richtung entwickelt… Das ist einfach etwas Schönes! Bei den Betroffenen erkennt man ein Gefühl von Erleichterung und Entspannung und der Raum für die gegenseitige Offenheit vergrößert sich: Man kann Dinge leichter ansprechen als zuvor. Außerdem ist es für mich spannend, sich einer bedrohlichen oder bedrohlich wirkenden Situation zu widmen und sie nicht passiv anzusehen oder ihr auszuweichen. Ich assoziiere damit das Sprichwort „Den Stier bei den Hörnern packen.” Das hat auf mich eine motivierende Wirkung.

Zum Abschluss: Wie begegnen Sie Ihren eigenen Konflikten?

Das Wissen um Konflikte ist für mich wie eine Leiter, die auf ein Dach reicht. Aber im Konflikt selbst, will ich möglichst wenig nach Lehrbuch und Muster handeln, sondern – dem Bild folgend – vielmehr ungesichert über die Dachrinne auf das Dach steigen. Ich fühle mich unwohl mit einem Gegenüber, das nach Lehrbuch zu agieren versucht und nicht spontan handelt. Darüber hinaus versuche ich in meinen persönlichen Konflikten darauf zu achten, möglichst wenig Fehler an mir und anderen zu suchen, sondern die Motive und Bedürfnisse zu klären.

Meine Assoziation zur Metapher von der Leiter ist folgende: Sie lassen sich trotz des Fundaments an Wissen und Kenntnissen auf den Schwindel des Konflikts ein und wollen ihn pur und spontan erfahren, anstatt ihn von der Metaebene zu beleuchten?

Ja, genau! Konflikte unter Mediatoren sind deshalb oft besonders anstrengend (lacht). Man sollte nicht den Anspruch haben, durch theoretisches Wissen, den Unsicherheiten und Unvorhersehbarkeiten eines Konflikts entkommen zu können.

Leave A Comment