Momentan erstrahlen viele Gebäude hier in Graz in Orange – und zwar, um genau zu sein, vom 25. November bis zum 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte. Grund dafür ist, dass man so ein Zeichen gegen gewalttätige Übergriffe an Frauen setzen will, weswegen anlässlich des Internationalen Tags gegen die Gewalt an Frauen die Lichter eingeschaltet wurden. Leider ist es nach wie vor noch so, dass jede fünfte Frau in Österreich – ganze 20 Prozent aller Frauen – ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt ist. In unserem modernen Zeitalter ist allerdings nicht nur die häusliche Gewalt ein Problem – auch im Internet kann es zu Gewaltaufrufen gegen Frauen kommen. Eine berühmte Plattform dafür sind etwa Onlineforen, wo man des Öfteren auf sogenannte „Incels“ trifft.

Ursprünglich begann die Incel-Bewegung in den späten 90ern als eine Art völlig harmlose Selbsthilfegruppe online: Junge Leute, die Schwierigkeiten damit hatten, eine romantische Beziehung zu finden, trafen im Internet aufeinander. Ihre Probleme in der Liebe bezeichneten sie als ‚involuntary celibacy‘ (unfreiwilliges Zölibat), was später auf ‚incel‘ abgekürzt wurde. Die Kommunikation untereinander fand zu der Zeit ausgesprochen harmonisch statt: Die Männer und Frauen des Netzwerks konnten einander um Rat bitten und sich gegenseitig Mut zusprechen, wenn es um Dates ging.

Bild von Pete Linforth auf Pixabay

Allerdings blieb die Incel-Bewegung nicht so friedlich, wie sie begonnen hatte. Inzwischen ist diese in etwas ausgeartet, das allerhöchstens noch eine Parodie der ursprünglichen Idee hinter dem Netzwerk ist: Heterosexuelle, frauenfeindliche Männer machen nun den Großteil der Incels im Internet aus. Gemeinsam ziehen sie in Hassforen über sogenannte ‚Alpha-Männer‘ oder auch ‚Chads‘ her, die ihrer Verschwörungstheorie zufolge der Grund für ihre eigenen sexuellen Misserfolge sind. Frauen, oder auch ‚Femoide‘, wie die Incels sie menschenverachtend bezeichnen, würden nur muskulöse und besonders maskuline Männer als Sexualpartner in Erwägung ziehen, weshalb sie selbst stets leer ausgingen. Anstatt ihre misogynen Haltung machen sie ihre ‚schlechten‘ Gene dafür verantwortlich, dass sie bei Frauen erfolglos bleiben – dabei handelt es sich bei den Incels meist um durchschnittlich attraktive Männer unter 30.

Besucht man eines der Incelforen, etwa die auf der Onlineplattform Reddit, so stößt man sehr schnell auf verstörende Posts, wie etwa solche, die eine erzwungene Monogamie als plausible Lösung für die sexuelle Frustration der Männer darstellen. Nicht nur das, viele der Incels fantasieren sogar davon, Frauen auf offener Straße zu vergewaltigen oder sie zu ermorden.

Gefährlich wird es, wenn die Incels beschließen, diese kranken Fantasien in der Wirklichkeit zu vollstrecken: Elliot Rodger, oder auch ER, wird in vielen Ecken des Internets abgöttisch dafür verehrt, am 23. Mai 2014 sechs Personen in Isla Vista ermordet zu haben, befeuert von der Pseudophilosophie der Incels.

Methawee Krasaeden auf Pixabay

Bevor er sich selbst erschoss, lud der 22-Jährige ein Video auf Youtube hoch und schickte ein 141 Seiten langes Manifest an fast zwei Dutzend Leute. In dem Dokument beschreibt er sich als den „perfekten, großartigen Gentleman“ und meint, dass er nicht verstehen kann, warum Frauen keinen Sex mit ihm haben wollen. In seinem Amoklauf, den er den „Tag der Vergeltung“ nennt, wollte er die Alpha Phi-Studentinnenverbindung ins Visier nehmen – da die Frauen ihm allerdings nicht die Tür öffneten, schoss er schließlich Leute auf der Straße an, ehe er in sein Auto stieg und von dort aus weiterhin auf Passanten feuerte. Nachdem er sich einen Schussabtausch mit der Polizei geliefert hatte und geflüchtet war, nahm sich Rodger schließlich durch einen Kopfschuss selbst das Leben. Bis heute noch tauchen immer wieder Fanvideos über den Amokläufer auf Youtube auf, während er in vielen der Incelforen wie ein Held gefeiert wird.

Es lassen sich außerdem viele Parallelen zu dem Attentäter finden, der am 9. Oktober 2019 zuerst versuchte, in eine Synagoge einzudringen und dann zwei Menschen erschoss – alles live übertragen auf eine Streamingplattform im Netz. Auch dieser Täter veröffentlichte vor seinem Amoklauf ein Manifest, in dem er den Holocaust leugnet und den Feminismus als ein Werkzeug bezeichnet, das die weiße Rasse vernichten soll. Viele Hinweise deuten darauf hin, dass es sich auch bei diesem Mann um einen Incel handelte.

Quellen:
https://www.kleinezeitung.at/oesterreich/5728084/Zeichen-gegen-Gewalt-an-Frauen_Darum-leuchten-ab-heute-Gebaeude-in

https://www.vox.com/the-highlight/2019/4/16/18287446/incel-definition-reddit
https://www.derstandard.at/story/2000092615853/incels-recht-auf-sex-als-radikale-ideologie
https://www.watson.de/international/internet/104568006-incels-frauenhasser-psychopath-rechtsradikal-immer-mehr-hinweise-dass-halle-taeter-incel-war
https://www.bbc.com/news/world-us-canada-43892189
https://www.klassegegenklasse.org/war-der-attentaeter-von-halle-ein-incel/

2 Comments

  1. Barbara Kasper 5. Dezember 2019 at 9:49 - Reply

    Liebe Miriam,
    ich muss Dich schon wieder loben, klasse recherchiert und super geschrieben. Aber heute habe ich eine Frage. Würdest Du diesen Text auch dem Frauenrat zur Verfügung stellen? Ich dachte an Verbreitung auf Facebook und /oder Homepage. Geht das überhaupt, gibt es da Regeln bei Blogs? I kenn mi net aus.
    Mir würdest Du Arbeit abnehmen.

    Liebe Grüße
    Barbara

    • Miriam Dier 6. Dezember 2019 at 14:17 - Reply

      Liebe Barbara,
      vielen lieben Dank für das Lob! Natürlich würde ich den Text zur Verfügung stellen. Bei Blogs gibt es, soweit ich weiß, keine wirklich festen Regeln, ein Link/kurzer Verweis zur Quelle sollte daher ausreichen.

      Liebe Grüße,
      Miriam

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Von: Miriam

5. Dezember 2019

Bild: ©Free-Photos auf Pixabay

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